2017 angermann

2017 • Kunst

Erhard Angermann

Halle an der Saale 1931 – Hanau 2018



Erhard Angermann

Laudatio auf Kulturpreisträger Erhard Angermann

Geboren am Tag der „Deutschen Einheit“, fast sechzig Jahre bevor er staatlicher Feiertag wurde, hat Erhard Angermann beide Seiten seines Vaterlandes erlebt. Als Kind und Jugendlicher musste er auch das verbrecherische System der Nazis und die schrecklichen Auswirkungen des Krieges durchstehen. Nach seinem Schulabschluss 1946 absolvierte er in seiner Geburtsstadt Halle an der Saale eine Ausbildung zum Lithografen. Zeitgleich nahm er Privatunterricht in Malerei und Zeichnung, denn von dieser Leidenschaft war er schon früh gepackt. In disziplinierter Arbeit erwarb er schließlich - einer strengen Auslese unterworfen - die Qualifikation zum Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Leipzig.

Aber er nutzte dieses Studienangebot nicht. Sogar ein Stipendium dafür schlug er aus. Kurz vor dem Arbeiteraufstand gegen den „Arbeiter- und Bauern-Staat“ der SED übersiedelte Erhard Angermann im Mai in die Bundesrepublik, die diesen 17. Juni über ein Drittel Jahrhundert lang als Ersatz für den fehlenden Nationalfeiertag beging. Er zog in den ein wenig verschlafenen Ort Klein-Auheim und übte seine erlernte Tätigkeit als Lithograph in einer Fotolithographischen Kunstanstalt in der Nachbargemeinde Steinheim aus. Schließlich wechselte er dort in die Graphischen Bertriebe der Firma Illert, wo er sich über 30 Jahre bis zu seinem Ruhestand seine bürgerliche Existenz für seine Familie sicherte.

Für Angermann war diese Basis wichtig, weil er sich seine künstlerische Tätigkeit nicht als Brotberuf vorstellen konnte. Er wollte seine Freiheit und Unabhängigkeit wahren und keinen „Produktionszwängen“ ausgesetzt sein. So war er auf Auftragsarbeiten nicht angewiesen.

Für ihn prägend wird schließlich die Mitgliedschaft in der Hanauer Künstlervereinigung „Simplicius“. Mit 33 Jahren tritt er ihr bei und ist bis heute bei deren jährlichen Ausstellungen mit eigenen Werken immer präsent. Er engagagiert sich im Vorstand und ist mit allen namhaften Künstlern der Region befreundet. Der Austausch mit ihnen ist ihm wichtig.

Neben den Gemeinschaftsausstellungen hatte er im Lauf der Jahre eine Vielzahl von Einzelausstellungen, in Hanau, in der Region und darüber hinaus; die genaue Zahl hat er sich nicht gemerkt.

Seit Jahrzehnten ist Erhard Angermann einer der produktivsten Akteure der Hanauer Kunstszene. Der Kulturredakteur einer Regionalzeitung charakterisiert ihn: „Wie kaum ein Zweiter ist er ein Repräsentant der Hanauer Malerei der Gegenwart“. Noch deutlicher formuliert es ein anderer: „Mit den beiden anderen Hanauer Titanen Alexander Harder-Khasan und Walter Kromp war er zu den Glanzzeiten dieser Künstlervereinigung das tragende Dreigestirn“. Ein dritter Kunstkritiker nennt ihn „eine prägende Konstante des hiesigen Kunstbetriebes seit der Nachkriegszeit“.

Ich darf hier einfügen, dass beide genannten Hanauer Maler schon vor sehr langer Zeit Träger des Kulturpreises des Main-Kinzig-Kreises wurden. Harder-Khasan war der erste Preisträger, dem ich 1977 – das war noch vor der Geburt unsres heutigen Landrats – als Vorsitzender der Kulturpreisjury die Auszeichnung überreichen durfte, 1987 folgte dann Walther Kromp. Ich persönlich freue mich sehr, dass die Jury in diesem Jahr meinem Vorschlag zugestimmt hat. So haben sich meine jahrzehntelangen Bemühungen für die überfällige Auszeichnung Angermanns endlich doch gelohnt.

Im Jahre 2001 erhielt Erhard Angermann für seine gegenständliche Malerei den Claire-Roeder-Münch-Preis, 2011 von der Stadt Hanau die August-Gaul-Plakette für besondere Verdienste um Kunst und Kultur.

Selten, wie schon gesagt, nimmt er einen Auftrag entgegen, diesen oder jenen auf die Leinwand zu bringen. Fast immer sucht er sich seine „Opfer“ selbst aus. Jedes Portrait ist ein neues Wagnis und Abenteuer für ihn, wie er selbst sagt. Es sind keine Alltagsmenschen, auswechselbare Gesichter, sondern eigentlich mehr Typen, Persönlichkeiten, die für ihn eine Ausstrahlung haben. Und genau deren Physiognomie, Mimik und Gestik versucht er mit seiner breiten Farbpalette, seinen wuchtigen Pinselstrichen zu erfassen und ihnen Leben einzuhauchen. Darunter sind prominente Personen, wie etwa Karl Kardinal Lehmann oder der frühere sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, aber auch eine Vielzahl unbekannter Zeitgenossen.

In jedem Portrait tritt für den Betrachter mehr als nur die Erscheinung, das äußerlich Abbildbare hervor. Angermann versucht in seinen Bildern die Persönlichkeit zu erfassen, das Wesentliche des Menschen. Ein Kunstkritiker charakterisierte seine Portraits so: „Die Physiognomie der dargestellten Person wird zum Spiegel seiner Seele“. Man kann den Vergleich durchaus wagen: Sein Handwerkszeug legt wie das Skalpell eines Chirurgen die Innenwelt der Portraitierten offen. Und genau das ist sein künstlerisches Ziel.

Es sind vor allem drei Genres, denen er sich thematisch widmet: Landschaften, Stillleben – hier zumeist Blumen - und Portraits, und seine Techniken sind Kreidezeichnungen, Aquarelle oder Öl. Farbintensive Gemälde, oftmals in geradezu überquellendem Farbenrausch, das ist sein Markenzeichen. Wenn Sie einen Raum betreten und ein Bild von ihm sehen, wissen Sie auf den ersten Blick: Das ist ein Angermann! Er hat einen ganz unverwechselbaren, eigenständigen Stil, den man sofort erkennt. Seine Bilder sind gegenständlich, aber keinesfalls Abbildungen oder Kopien der Wirklichkeit. Sie strahlen eine faszinierende Dynamik aus. Kunsthistorisch könnte man seine Werke einordnen in eine Richtung zwischen Expressionismus und Realismus. Aber er würde sich sicher mit Recht gegen eine solche „Schubladen-Definition“ wehren.

Wie vorzeiten die großen Landschaftsmaler zieht Erhard Angermann tatsächlich mit Leinwand und Farben in die freie Natur, um dort malen – und fast immer betont umweltfreundlich mit seinem Fahrrad. Das Ergebnis ist nicht eine naturalistische Wiedergabe der Landschaft oder einzelner Blumen, sondern das Wesentliche der Stimmung, die sie vermitteln. Er versucht sozusagen - um es ein wenig pathetisch auszudrücken – das Atmen der Natur, das Erleben der Schöpfung in einem einzigen Augenblick einzufangen. „Meine Malerei lebt von der Intuition“, sagt Erhard Angermann.

Der Kulturpreisträger von 2004, der Hanauer Werner Kurz, schildert seine Arbeitsweise so: „Wenn Angermann mit dem dicken Pinselstrich arbeitet, bei dem man sich nur wundern kann, wie er denn die vielen Nuancen und Kleinigkeiten eines Gesichts, eines Kopfes ins Bild bringt, dann wird die Spreu vom Weizen getrennt, Wichtiges von Unwichtigem geschieden, Verborgenes ans Licht geholt, Gegensätzliches austariert, Lautes, Vor- und Aufdringliches aufs rechte Maß gestutzt.“

In den 90er Jahren, so erzählte mir Erhard Angermann, gingen in seiner Firma die Aufträge zurück, Personal musste entlassen werden, betroffen waren zunächst die über 60jährigen, die in den vorzeitigen Ruhestand mussten. Er begegnete sehr vielen seiner Kollegen mit hängenden Köpfen und verzweifelnden Mienen. Schließlich ist auch er an der Reihe. Man bietet ihm an, ohne Abzüge sofort in Rente zu gehen. Für ihn ist die Mitteilung des Chefs kein Schlag ins Gesicht, vielmehr ein Befreiungsschlag. Für ihn ist wie ein Geschenk des Himmels. Jauchzend radelt er früher nach Hause, umarmt seine Frau und feiert mit ihr seine künftige Freiheit und Freizeit für seine Kunst.

Erhard ist äußerst bescheiden. Große Worte, herrische Gesten oder ein übertrieben selbstbewusstes Auftreten sind ihm fremd. Er spielt sich mit seinen Werken und seiner Passion nicht in den Vordergrund. Als Künstler ist er leidenschaftlich begeistert von seinen Motiven, schafft es aber doch, sich seinem Schaffen gegenüber selbstkritisch zu verhalten. Er sagt selbst von sich: „Die Portraitmalerei ist für mich immer wieder ein Abenteuer, das gelingen kann – aber nicht gelingen muss“. Er ist ein nachdenklicher, zurückhaltender und bescheidener Mensch. Das Ergebnis seiner künstlerischen Arbeit ist ihm wichtiger als seine Person. Sie tritt hinter dem Werk des Malers zurück.

 

Die Laudatio hielt Aloys Lenz (Mitglied der Kulturpreisjury)
16. November 2017, Main-Kinzig-Forum