2017 schwade

2017 • Musik

Franz-Josef Schwade

Schlüchtern 1952



Franz-Josef Schwade

Laudatio auf Kulturpreisträger Franz-Josef Schwade

Überrascht von der Anfrage, ob ich eine Laudatio für den Preisträger des Kulturpreises halten kann, stellte ich mir die Frage: Wie verfasst man eine Laudatio? Eine Laudatio für einen Musiker? Eine Laudatio für einen Jazz-Musiker? Sehr schnell habe ich für mich beschlossen, dass ich sicherlich nicht die Liste der Preise verlese, die Biographie auffalte, das kann man alles nachschlagen. Sehr schnell habe ich beschlossen, dass ich nicht die Konzerte zähle, Zahlen sind Schall und Rauch. Ich wollte ein wenig das in den Mittelpunkt rücken, was einen wahren Musiker/Künstler ausmacht, für den die Aussage gilt: nach dem Konzert ist vor dem Konzert, es geht immer weiter, ein Konzert ist verklungen, dokumentiert oder nicht, was bleibt, ist die Erinnerung.

Beim weiteren Nachdenken machte ich mir immer wieder klar, dass unter allen Künsten die Musik die Kunst des Augenblicks ist. Nur das Theater ist ein wenig vergleichbar, aber auch nur ein wenig. Betrachten man ein Bild, eine Statue, ein architektonisches Kunstwerk, so steht man zwar im Augenblick der Betrachtung unter den Gefühlen, die den Moment bestimmen, aber ich kann mir das Werk immer wieder ansehen, für einen kurzen Moment einen Blick darauf werfen, es als Bild betrachten. Es verschwindet nicht. Bei der Musik ist es anders: sie ist die Kunst des Augenblicks. Sicherlich, ich kann mir ein Stück mehrmals anhören, werde es aber wie das Bild jedes Mal mit anderen Gefühlen tun. Außerdem ist ein Eindruck auch abhängig davon, wer es aufführt. Für die Musik muss ich mir Zeit nehmen, sie ist die Kunst der Dauer, die Kunst, musikalische Gedanken, Klangfarben, in Musik verpackte Gefühle oder Bilder zu verknüpfen, aneinanderzureihen. Beim Hören werden Assoziationen geweckt – bei jedem Menschen andere. Mit dem Verklingen bleiben Bruchstücke des Ganzen, Wendungen, die uns berührt haben, die wir aber im Einzelnen nicht zurückholen können, sondern nur als Ganzes – als Gesamtkunstwerk. Wollen wir es wiederholen, genügt nicht ein Blick zum Erinnern, sondern wir müssen die gleiche Zeit wieder investieren, um das Kunstwerk wahrzunehmen. Dies ist dieser entscheidende Unterschied zu den anderen Künsten. Darüber hinaus werden Assoziationen und Erinnerungen in der Musik leichter geweckt, wenn die Musik mit Text verbunden ist/war, wenn in der gebliebenen Melodie der Text weiterwirkt und untrennbar mit der Musik verknüpft ist. Genau dieses Phänomen will ich mir für diese Laudatio zu Nutze machen und damit zeigen, dass die Musik doch auch eine universelle Botschaft haben kann, wenn der Text mitschwingt, oder der Text mit einem Ereignis, einem Menschen in Verbindung gebracht wird – auch wenn man einmal nur die Melodie hört.

Eine solche Melodie, passend für unseren Preisträger, ist das Lied „Music was my first love“. Den Text des Liedes möchte ich als kleinen Leitfaden, als Rahmen und ein Gliederungselement dieser Laudation zugrunde legen. Als ich mich dazu entschied, hatte ich aber zugleich ein ungutes Gefühl, da ich mir die Biographie schon ein wenig angeschaut habe: denn einen Französischlehrer, ein Liebhaber der französischen Sprache und Kultur gleich mit einem englischen Text zu konfrontieren, erschien mir doch nicht ganz angemessen. So kam mir ein Zitat aus einem französischen Opernlibretto in den Kopf: „On revient toujours à ses premiers amours“ (Etienne, La Joconde), übersetzt für alle anglophilen Zuhörer: „man kehrt immer zu seiner ersten Liebe zurück“. Dieses Zitat ist im Prinzip die Kurzfassung dessen, was das Lied „Music was my first love“ aussagt. Die erste Zeile des Liedes trifft auf nur wenige Menschen so treffend zu, wie auf Franz-Josef Schwade. Er hat die Musik, neben seinem Beruf in den Mittelpunkt gerückt. Damit aber auch hier die oben beschriebene Bedeutung der Kunst des Augenblicks noch einmal zum Tragen kommt, lassen wir dieses Musikzitat auf uns wirken. Jeder, der das Stück schon einmal gehört hat, wird sich wahrscheinlich an den Augenblick erinnern, in dem er es zum ersten Mal und mit wem er es zum ersten Mal gehört hat. Diejenigen, die es nicht kennen und zum ersten Mal hören, werden bei Erklingen der Melodie zu einem späteren Zeitpunkt sofort an den heutigen Abend denken. (Anspiel des Liedes).

Gehen wir im Text weiter: „Music was my first love and it’ll be the last, Music of the future and music of the past“, so umschreibt das Lied die Musik, der unser Preisträger verbunden ist: „Music of the future“. Musik, die noch entstehen wird, die noch aufgeführt wird: hier kann man den Bandleader selbst zitieren, der mit „music of the future“ den Motor beschreibt, der ihn antreibt: „Mich interessiert, was es noch nicht gibt.“ Lassen wir uns überraschen, was es noch nicht gibt und dann durch seine Hände geht. Doch halten wir uns jetzt zunächst an den zweiten Teil des Satzes: „And music of the past“ nämlich das, was vergangen ist, was vorliegt. Mit seinen Gruppen kann unser Preisträger fast alles, wie auch ein Blick auf die Covers, die Konzertprogramme beweist: klassisch mit Bach, Mozart, Prokofiev, Mussorgsky, geistlich, weltlich, traditionelle Blasmusik, aber dann, und an dieser Stelle wandle ich einmal den Text um: „Jazz is his first love“. Jazz, die Kunst der Improvisation. Bei dieser Musik bestätigt sich noch viel mehr das eingangs erwähnte Besondere der Musik im Allgemeinen: die Kunst des Augenblicks. Der Jazz lebt viel von Improvisation, die eben nur einmal, in diesem Augenblick hörbar wird. Das ist bei den Gruppen, die unser Preisträger leitet,  durchaus möglich, denn bei einem Stück, das Raum zur Improvisation gibt, wird dieser Raum genutzt, und wahrscheinlich wird dieses Stück dann nur einmal genauso klingen wie in diesem besonderen Augenblick. Lassen sich mich als Kennerin der Materie sagen, dass diese Darbietung von Musik eine der am schwersten erreichbaren Stufen darstellt, dass dazu seitens des Leiters, eine hoch künstlerische wie auch leiterische Fähigkeit Voraussetzung ist. Dies stellt Herr Schwade immer wieder mit großem Erfolg unter Beweis, wie das erfolgreiche Abschneiden bei vielen Wettbewerben zeigt: vielleicht ist hier stellvertretend für viele weiteren Preise der Hessische Jazz Preis 2014 zu erwähnen. Denn gerade hierbei wurde auch seine Fähigkeit hervorgehoben, die Musiker so zu motivieren, so zu fördern, so zu fordern, dass sie selbst zu Künstlern und Kulturträgern werden. Das ist eine der schwierigsten zu bewältigenden Aufgaben.

„To live without my music would be impossible to do.“ – Dieser Satz gewinnt an Bedeutung, betrachtet man die vielen Konzertkritiken und Konzertberichte, die vorliegen: da ist zum einen die Musik, die im Konzertleben der Ulrich-von-Hutten-Schule entstand, d.h. Weihnachtskonzerte, Konzerte mit den schulischen Gruppen in der Region, das Swingorchester in Frankfurt, das Neujahrskonzert in Bad Soden, das Konzert im Bad Orber Kurpark, Themenkonzerte verschiedenster Art, weiterhin ein Konzert als Hommage an die Freundschaft mit den Franzosen, eine Hommage an Afrika. Es gibt weiterhin all die Musik, die auf Konzertreisen zum Klingen kam: Franz-Josef Schwade war somit als Botschafter unterwegs, in Südfrankreich, Polen, bei einem Jazzfestival in Paris, er stellte die Musik in den Dienst von Benefizveranstaltungen, zur Völkerverständigung, d.h. er hat sich ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der Musik zu eigen gemacht: Musik ist die einzige Sprache, die über alle Sprachgrenzen hinaus jeden erreicht. „Thank you for the music“.

Kommen wir zum Produkt: das was klingt, was für uns hörbar ist, es hört sich so leicht, so selbstverständlich an. Aber nur jemand, der selbst Musik macht, der selbst versucht hat Musik zu machen, kann im Ansatz ermessen, was diese noch sehr lückenhafte Aufzählung wirklich bedeutet, welche Kraft, welches Können und auch welche pädagogischen Fähigkeiten dahinter stehen und welcher immense Zeitaufwand. Das geht nur, wenn man eine Sache bedingungslos liebt, sie bedingungslos verfolgt, sie als Lebensinhalt aufnimmt und lebt: „To live without my music would be impossible to do“.

Gestatten Sie mir in einem kleinen Nebensatz die nächsten beiden Liedzeilen unterzubringen, die ich nicht einfach ausklammern möchte, aber die jeder Mensch, der sich die Musik zu einem Lebensinhalt gemacht hat, nur mit seinen eigenen Gedanken füllen kann:  „In this world of troubles my music pulls me through“. Wenn Musik diese einzigartige Bedeutung für einen Menschen hat, dann hat diese Musik auch die Kraft im Leben zu tragen, denn dann ist sie fest in diesem Menschen verankert.

Kommen wir zur letzten noch nicht kommentierten Zeile des Liedes, aber noch nicht ganz zum Schluss. Der Text lautet: „Music was my first love and it’ll be my last.” Als ich im Vorfeld mit Herrn Schwade telefonierte, sprach ich ihn darauf an, ob er denn nun im Ruhestand wäre. Seine Antwort: „Ich habe aufgehört um weiterzumachen.“ Er hat sich aus dem aktiven Unterricht in den Ruhestand begeben, um mit großer Kraft mit der Musik weiterzumachen – auch an seinem ehemaligen Wirkungsort. Er erläuterte mir, dass es noch so viel gibt, was er vorhat, dass es so viele Ideen gibt, dass ihn das interessiert, was es noch nicht gibt. Dies gibt Hoffnung. Hoffnung, dass er uns noch viele wunderbare Konzerte, alleine, mit seinen Bands oder in Kooperation mit Tanzgruppen schenkt. Hoffnung, dass es noch viele Anlässe gibt, bei denen er mit seinen Bands die Kunst des Augenblickes schenkt. Hoffnung, dass er noch viele Menschen künstlerisch und pädagogisch so führt, dass sie selbst zu Künstlern werden.

Nun zum wirklichen Schluss dieser Laudatio – so sie eine war. Es gibt noch ein weiteres Lied, dessen erste Strophe als Abschluss wunderbar passt:

Somewhere over the rainbow
Way up high
And the dreams that you dreamed of
Once in a lullaby
Dreams really do come true


Franz-Josef Schwade hat seine Träume in der Wirklichkeit entstehen lassen und hat sie zu Träumen, zur Sehnsucht anderer gemacht, sie sind nicht mehr über dem Regenbogen, „over the rainbow“, sie sind hörbar für uns alle. Der Main-Kinzig-Kreis ehrt mit diesem Preis einen Künstler, der mit den Worten von Frank Sinatra sagen kann: „I did it my way“ bzw. „I’ll do it my way“ – denn er macht weiter.

 

Die Laudatio hielt Dr. Maria-Elisabeth Heisler-Wiegelmann (Mitglied der Kulturpreisjury),
16. November 2017, Main-Kinzig-Forum