2015 opsahl

2015 • Tanz | Choreographie

Monica Opsahl

Trondheim, Norwegen 1970



Monica Opsahl

Laudatio auf Monica Opsahl

Monica Opsahl war vier Jahre alt als sie zum ersten Mal einen Tanzsaal betrat, einen länglichen Raum mit vielen Spiegeln und der unerläßlichen Ballettstange. Ballett? Das kannte Monica von zuhause nicht: Die Mutter kam zwar aus einer „singenden“ Familie, der Vater war in jungen Jahren im Musikcorps gewesen, einer marschierenden Bigband; mit der Großmutter hat Monica oft und gern gesungen... aber Tanz und Ballett? Es war genau die Großmutter, die den Wink in diese Richtung gab. In der Verwandtschaft hatte jemand eine Ballettschule, also – ging Monica zum Ballettunterricht. Das war 1974.

Dort gab es, „Tante Kari“ genannt, eine „sehr liebe, etwas rundliche Erscheinung“, so erinnert sich Monica Opsahl an ihre erste Ballettlehrerin. Tante Kari „war für uns Kinder die Allerbeste“. Ganz anders „Tante Brit“: Tante Brit, klein und dünn von Gestalt und „sehr, sehr streng“ die Ballettschülerinnen rannehmend. Ihr A und O war Disziplin, doch bei ihr hieß „Disziplin“ hieß nichts anderes als: „... wir wurden von ihr sehr sehr genau getriezt.“ Das Triezen wurde für unsere Preisträgerin später nicht zum Ideal für sie als Tanzpädagogin und Choreografin.

Monica blieb in dieser Schule bis sie 16 war. Es folgten dann für drei Jahre noch andere Ballettschulen in ihrer Heimatstadt Trondheim, dies um genug trainieren zu können und diverse Tanzstile kennenzulernen – nicht unwichtig waren die ersten kleineren Auftritte. Zugleich absolvierte sie hier und – was sich als weitaus prägender erwies: in Göteborg und London – die obligatorischen Schritte auf auf dem Weg zum akademischen Abschluß als Ballettlehrerin. Göteborg – das war Praxis im Showtanz. Und London – das hieß Studium am weltberühmten Laban-Center for Modern Dance. Hier zu lernen war etwas ganz Besonderes. Warum? In Monicas eigenen Worten:

„Hier erlebte ich Contemporary Tanzen ganz neu. Hier galt eine strenge klassische Technik als Gerüst. Und dann waren wir die Architekten unseres eigenen Bauwerkes. Ich lernte die Bewegung auszudrücken, nicht sie nur zu tanzen. Es durfte nicht schön sein. Es sollte pur und ehrlich sein. Aus dem Leib zu tanzen, das war die Anweisung, jedesmal sollte es sich anfühlen wie eine Geburt. Das war ein langer Weg... Aber ich lernte hier, die Bewegung zu lieben und respektieren. Die Feinheit und die Einzelheit. Eine Bewegung muss nicht ausgeschmückt werden. Man kann wohl sagen, dass ich dort meinen Körper kennenlernte. Vielleicht bin ich hier ICH geworden.“

In diesen freimütigen Sätzen geht es um mehr als nur eine Ausbildungsstation unserer Preisträgerin; es geht um den Weg ihrer persönlichen Identitätsfindung. Enthalten ist darüber hinaus, wie in einer Nußschale, eine ganze Philosophie – eine Philosophie der Bewegung, die handlungsleitend für Monica wird. Tanz als Sprache wäre ein Stichwort dafür.

Ein anderes: Wie designt man eine Choreografie? Wenn man Tanz als eine Folge gedachter Linien definiert, denen der Tänzer seinen Körper leiht, dann ergänzt Monica Opsahl dieses Bild: Der Tänzer, sagt sie, versucht zu erspüren das, was der Choreograph im Kopf sieht und oft nicht mit Worten sagen kann. Wir versuchen zusätzlich zur eingesetzten Technik eine Ausdruckssprache zu finden, so daß es nicht wie nur einstudiert wirkt. Der Tänzer gibt, wenn man so will, etwas von seiner Seele dazu.

Werfen wir kurz den Blick auf die Zeit damals, auf die 80er Jahre: Die ganze Welt war angesteckt vom „Saturday Night Fever“, von „Grease“ und anderen Filmen wie etwa „Fame – der Weg zum Ruhm“, „Flashdance“ oder „Dirty Dancing“. John Travolta markiert quasi die Generation nach Fred Astaire, nur: die tänzerische Performance wird nun immer sensationeller, die Dramaturgie immer raffinierter, „sexy und kraftvoll“, sagt das Filmlexikon. Die Story ist wie immer, nämlich: Boy wirbt um Girl – allerdings mit immer riskanteren Schwüngen und Sprüngen.

Der Wind aus Hollywood wehte auch nach Trondheim in Norwegen. Was bedeutete das für Monica Opsahl?

„Das bedeutete alles für mich“, sagt sie mit vielen Ausrufezeichen: „Alles!! Ich war täglich im Training. Ich lebte dafür. Das war ich!! Ich verzichtete auf viele Dinge was meine Freundinnen machen konnten. Die Zeit reichte nicht. Nur wenn die Leistungen in der Regelschule zugleich exzellent waren, dann durfte Tanzen mein Leben so steuern. Diese Tanzfilme, die schafften Hoffnung für ein Leben in der Tanzszene. Es waren sehr gute Zeiten für die Tanzbranche. Und die Erinnerungen sind an dieser Zeit hängen geblieben. Seit ich 14 war wollte ich Tanzpädagogin werden. So wie ‚Tante Kari’. Nicht Tänzerin zu werden war [das Ziel] wie bei so vielen Mädchen – ich wollte die Freude weitergeben, ich wollte der Liebe einen Körper verleihen und: Die Liebe des Lebens ist T-a-n-z-e-n. Das will ich immer noch. Und ich freue mich so innerlich wenn ich [heute] meine [eigenen] Tanzschülerinnen unterrichten darf.“

Mit 18 zieht Monica zuhause aus. Ihr Vater hätte es gern gesehen, wenn sie Jura studiert, die Familienfirma mit dem Bruder zusammen weitergeführt hätte. Doch Monica Opsahl tanzte, um dieses Bild zu gebrauchen, der Familie regelrecht davon.

Sie absolviert das Examen zur Balettlehrerin mit 21 Jahren in den Fächern Klassik und Contemporary Dance. In diesen Lern- und Wanderjahren wird sie hie und da auch für Musicals als Tänzerin engagiert. Sie unterrichtet Klassisches Ballett an einer Ballettschule; jobbt als Trainerin in Fitnessstudios; bringt Menschen durch Tanzen und Tanzfitness in Bewegung.

Und? Sie kehrt irgendwann vom Heimweh getrieben zurück nach Trondheim, der sowieso schönsten Stadt Norwegens. Und fängt noch einmal von vorn an, beginnt eine zweite Ausbildung als Sonderpädagogin an einer speziellen Hochschule für frühkindliche Erziehung; Theater, Bewegung und Musik sind ihre Hauptfächer. Ein neues Kapitel in ihrem Leben. Sie begeistert sich dafür, denn sie hat in ihrer Praxis als Ballettlehrerin inzwischen gemerkt, daß sie zwar viel weiß über Tanz und Anatomie des Körpers, jedoch will sie unbedingt mehr über Kinder erfahren, die sie unterrichten wird. Wort „Erziehung“, scheint mir, mag sie nicht sonderlich.

Wenn sie ihr Wirken als Sonderpädagogin aus heutiger Sicht bilanziert sagt Monica Opsahl:

„Ich konnte mit Bewegung – und das meint auch mit Tanzen und Tanzbildern – über Jahre hinweg Kindern behilflich sein, neue Lernwege zu finden. Es kostet viel Engagement, aber das sind die Kinder auch wert. Mathematik, zum Beispiel das Einmaleins, ist für viele Kinder ein Albtraum. Mathematikverständnis im späteren Leben braucht aber ein solides Einmaleins. Und das Einmaleins kann man so toll, draußen, mit und durch Bewegung, den Kindern beibringen. Und es sitzt, ohne Auswendiglernen für der Rest deines Lebens. Man muss es nur wagen.“

Als Lehrerin im Schuldienst war es dann ein Herzensanliegen, Kindern mit Konzentrationsschwächen oder auch Hyperaktivität, Kindern in besonderen Lebenslagen, etwa aus Migrantenfamilien, eine faire Ausbildung zu bieten. Ihre Erfahrung:

Kinder sind von Natur aus wissbegierig beim Entdecken ihrer Welt. Sie sollten von einander lernen und miteinander zu sozialen Wesen sich entwickeln. Kreativität fördern statt Auswendiglernen zu belohnen! Und überhaupt sieht sie Fächer wie Tanz als Ansatzpunkte für die Weiterentwicklung des Schulsystems.

 

Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag und umso mehr lockt ein neues Jahrhundert. Monica Opsahl war 30 Jahre alt, als sie nach Deutschland ging – mit Schmetterlingen im Bauch. Im Gepäck: Praxiserfahrung, Einsichten, Kompetenzen, Erinnerungen (die ja immer mit umziehen). Und Träume: Frische Energie für Neues. Vielleicht eine eigene Tanzkompanie zu leiten? Oder sogar einmal eine ganze Stadt zum Tanzen zu bringen? Wer später dabei war in Schlüchtern wird es vielleicht nie vergessen.

2004 folgte die Gründung des „Ballettsaals“ in Schlüchtern. Was Monica Opsahl daraus gemacht hat, was da als kultureller Faktor über die Stadt hinaus sich entwickelte, dafür ehren wir sie heute mit dem Kulturpreis.

Es wäre nun vieles zu nennen, was ihr Wirken im Großen und Kleinen ausmacht. Es geht von Shakespeares „Sommernachtstraum“ auf Burg Schwarzenfels; weiter über Molières Ballettkomödie „Ein Bürger als Edelmann“ in Steinau. Es reicht bis hin zu nordischen Autoren, Komponisten und Folklore im traditionellen Weihnachtsmärchen im heimischen Ballettsaal zu Schlüchtern. Für das Festival „Kunst und Natur“ in Hutten choreografiert sie naturnah „norwegisch“, inspiriert u.a. von ihrem großen Landsmann Edvard Grieg. Ihr Traum ist, „Peer Gynt“ (Text: Henrik Ibsen) mit der Musik von Grieg für eine Open-air-Bühne zu choreografieren“. Oder sich an „Nora oder Ein Puppenheim“ als Tanztheater zu wagen. „Henrik Ibsens Werke“, bemerkt sie, „sind für uns wie Goethe für euch Deutsche“.

Und, nicht zu vergessen: Die Aktivitäten reichen vomBallettunterricht für die ganz Kleinen über Fortgeschrittene bis zur aktuellen Tanzkompanie „Artodance“ mit semiprofesionellen Akteuren.

Unbedingt erwähnen will ich hier das „Kulturwerk Bergwinkel“, eine regionale Gemeinschaft aus Bildenden Künstlern, Musikern, Theaterleuten, Kulturvermittlern, anderen Kreativen und eben: Tänzern. Kooperierend in spartenübergreifenden Projekten und künstlerischen Experimenten. Unsere Preisträgerin ist „stolz, ein Kulturwerkler zu sein. Wir sind alle verschieden“, sagt sie, „aber trotzdem sind wir irgendwie gleich. Die Unterstützung und die Bühne, welches das Kulturwerk mir, meiner Arbeit und der Tanzsprache gibt, bedeutet viele Möglichkeiten, neue Wege zu gehen. Sehr gerne wage ich mich an gemeinsames Neuland.“ Dem Schlüchterner Publikum hinwiederum macht sie ein Kompliment: Es sei recht offen für Tanztheater.

 

Tänze, die ein starkes Frauenbild zeigen, wie etwa Tango und Paso doble, mag sie „privat“ sehr gern, ebenso Quickstep – glamourös mit Glitzer und Boas. Doch der Walzer ist Monica Opsahls Lieblingstanz; auch im Ballett einen Walzer zu tanzen und zu choreografieren. Toll, so ein Walzer auf der klassischen Tanzbühne!

Ob sie den – wohl: einzigen – Walzer der Beatles einmal getanzt hat – kaum vorstellbar, daß nicht. Der Titel des Beatles-Songs ist „Norwegian Wood“.

Monica Opsahl – eine außergewöhnliche Persönlichkeit mit Leidenschaft und Tatendrang. Die Repräsentantin einer seltenen Kunst setzt Ausrufezeichen im Kinzigtal und ich denke über einen Satz in unserem Interview nach: „Ich möchte so gerne genau so eine wichtige Person im Leben meiner Tanzschülerinnen sein, wie es damals meine ‚Tante Kari’ für uns war. Die Frau hatte es in sich!“

Die Laudatio hielt
Prof. Dr. Heinz Schilling
Vorsitzender der Kulturpreis-Jury