Joselyn Grimm
Laudatio auf Kulturpreisträger Joselyn Grimm
Mit dem Auge der Kamera die Zeit festhalten – seit der Erfindung der Fotografie vor knapp 100 Jahren sind die Menschen fasziniert von dieser Möglichkeit. Von Beginn an wurde auch die Analogie der Fotografie zur Erinnerung diskutiert, denn die meisten Menschen erinnern sich hauptsächlich in Bildern. Ein Komponist wird vielleicht eher an Klänge denken, ein Parfumeur an Düfte oder ein Gourmetkoch an Geschmacksintensitäten. Doch für die meisten Menschen sind Bilder das zentrale Element der Erinnerung – aus diesem Grund lieben wir alle Familienfotos und Aufnahmen aus glücklichen Zeiten.
Auch Joselyn Grimm, die Förderpreisträgerin des Main-Kinzig-Kreises in diesem Jahr, begeisterte sich schon früh für die Fotografie, und wie viele andere Kinder hatte sie Freude daran, interessante Objekte abzulichten und so ihre Eindrücke zu „verewigen“. Nach den ersten mehr oder weniger gut gelungenen Schnappschüssen – damals noch mit der analogen Kamera ihres Vaters – vertiefte sich diese Leidenschaft bei ihr jedoch immer weiter, anders als bei vielen Gleichaltrigen. Sie entwickelte ein umfassendes Interesse an der Ästhetik und allen technischen Vorgängen rund um die Fotografie. Die Familie gab ihr dabei die nötige Unterstützung und motivierte sie, weiterzugehen. Ein wichtiges Vorbild für Joselyn war sicher ihre Mutter, die aus den Niederlanden stammt und selbst Kunst studierte, sie ist auch heute noch künstlerisch tätig.
Zu Joselyns bevorzugten Fotomotiven gehörten in dieser frühen Zeit vor allem Tiere und Pflanzen. Als die Eltern ihr die erste eigene Kamera schenkten, kannte die Begeisterung der jungen Fotografin bei der Suche nach interessanten Objekten keine Grenzen mehr. Und spätestens seit dem Besuch eines Fotokurses an ihrer Schule begann sie, ihren ganz eigenen Blick auf die Dinge zu entwickeln. Dass sie bei diesem Kurs auch in der Dunkelkammer arbeiten konnte und so die Entstehung ihrer Werke hautnah miterlebte, gab weitere Impulse für ihre kreative Entwicklung. Menschen, Tiere, Gegenstände des Alltags, aber auch stilsichere Arrangements aus ausgefallenen Blickwinkeln bildeten bald den Schwerpunkt ihrer Fotoreihen. Die Resultate konnte man schon in ihren frühen Ausstellungen bewundern – 2009 waren ihre Bilder erstmals in der VHS Gelnhausen zu sehen. Zu dieser Zeit war Joselyn Grimm gerade mal 14 Jahre alt. Es folgten zahlreiche weitere Ausstellungen in der Region, die sie oft auch selbst organisierte: Im Main-Kinzig-Forum, im Rathaus der Gemeinde Hasselroth und darüber hinaus an vielen Orten wie Nidderau, Hanau, Offenbach und Gondsroth – überall bewunderten die Besucher die Fotos der jungen Amateurin. Ihre gestochen scharfen Nahaufnahmen, nächtlich illuminierte Stadtansichten oder Stillleben von stimmungsvoll inszenierten alten Werkzeugen begeistern immer noch alle Betrachter.
Doch Joselyn fotografierte nicht nur, sie beschäftigte sich auch als Jugendliche schon intensiv mit dem Zeichnen und der Malerei. Mit der Zeit stellte sie dann fest, dass sie in ihren eigenen Bildern mehr „Seele“ ausdrücken konnte als mit der Kamera. Sie selbst hat es einmal so formuliert: „Mit der Fotografie kann man zwar die kleinen und großen Wunder des Lebens festhalten, teilweise auch auf künstlerische Weise, aber man ist immer auf das begrenzt, was wirklich da ist. Gemälde und Zeichnungen können hingegen auch das abbilden, was nicht da ist.“
So arbeitet Joselyn Grimm inzwischen am liebsten ohne technisches Equipment, und ihr Weg in die Welt der Kunst und Kultur war vorgezeichnet: Nach dem Abitur in Gelnhausen und einer Ausbildung als Mediengestalterin studiert sie mittlerweile Geschichte und Kunstwissenschaften in Kassel. Sicher auch beeinflusst durch die Beschäftigung mit der Kultur des Mittelalters und ihren Handwerkskünsten, arbeitet sie inzwischen vor allem mit Bleistift, Kohle, Kreide, Aquarellstiften oder auch mit dem Kugelschreiber. Dabei entstanden beeindruckende Portraits von international bekannten Persönlichkeiten wie Albert Einstein oder Nelson Mandela, feine Skizzen und Detailstudien. Ihr großes Interesse für die Geschichte, das sie schon vor ihrer Zeit an der Kasseler Uni zur Mitarbeit im Heimat- und Geschichtsverein Hasselroth bewegte, zeigt sich beispielsweise in der berührenden Darstellung eines Soldaten im Ersten Weltkrieg: er hält eine kleine Tanne in der hoch erhobenen Hand. Das Bild verweist auf den Weihnachtsfrieden 1914, als deutsche und britische Soldaten entlang der Westfront in einer eisigen Nacht die Waffen niederlegten, um gemeinsam den Heiligen Abend zu feiern. Dies ist ganz bestimmt eines der Bilder, von dem sie sagt: „Man stellt also mit jedem Werk einen Hauch seiner eigenen Persönlichkeit aus.“
Joselyn Grimms erste Ausstellung, bei der sie auch ihre Zeichnungen präsentierte, fand 2011 statt, sie hatte sie gemeinsam mit einer Schulkollegin in Eigenregie organisiert. Den Erlös, den die beiden Schülerinnen dabei erzielten, spendeten sie komplett an AULA; ein Projekt zugunsten von jungen Erwachsenen mit geistiger Behinderung. Ihre bisher letzte Ausstellung im Hasselrother Rathaus stand unter dem Titel „Geschichte und Geschichten“, sie sollte insbesondere den Zusammenhang zwischen Geschichtsschreibung und Literatur aufzeigen.
Joselyn Grimm ist auch heute neben ihrem sicher zeitraubenden Studium in Kassel in vielen kulturellen Bereichen aktiv. Sie macht Musik in einer Kasseler Folk-Rock-Band, zeichnet und fotografiert, und auch die Mitarbeit im Heimat- und Geschichtsverein gehört weiterhin zu den wichtigen Bestandteilen ihres Lebens. Es ist bemerkenswert, dass eine so junge Frau sich hier engagiert – die Heimat- und Geschichtsvereine sind doch zumeist eine Domäne älterer Herrschaften! Doch sie hat dabei offensichtlich ein weiteres Arbeitsfeld gefunden, in dem sie nicht nur ihre Kreativität, sondern auch ihr Organisationstalent und ihre Fähigkeit, auf Menschen zuzugehen, ausleben kann. Als ausgebildete Grafikdesignerin war es für Joselyn selbstverständlich, das Logo für den Verein zu gestalten, und bei der 800-Jahr-Feier in Neuenhaßlau in diesem Jahr war sie es, die die Eröffnungsfeier moderierte und im Anschluss zur historischen Festführung einlud.
So ist Joselyn Grimm für mich eine wirklich beeindruckende Persönlichkeit und Kulturschaffende, die trotz ihres jungen Alters bereits eine beachtliche Stufe in ihrer künstlerischen Entwicklung erreicht hat. Dabei hat sie unter Beweis gestellt, dass Kreativität und das Hinausgehen aus der Heimat nicht bedeutet, ihre Wurzeln zu vergessen. Ihrem Heimatort und seiner Geschichte ist sie immer noch tief verbunden. Der Nachwuchsförderpreis des Main-Kinzig-Kreises in diesem Jahr bedeutet für sie eine besondere Wertschätzung. Dass sie mit ihrer Arbeit andere Menschen begeistern kann, ist für sie eine wunderbare Belohnung und Ansporn, weiterzumachen. Wir sind gespannt auf das, was die Zukunft für sie bringt und wünschen ihr viel Erfolg auf ihrem künstlerischen und kreativen Weg!
Die Laudatio hielt Ute Böckel (Mitglied der Kulturpreisjury),
12. November 2019, Main-Kinzig-Forum