1986 woelbing

1986 • Grafik

Jürgen Wölbing

Breslau 1942 – Hanau 2009



Jürgen Wölbing

"Ein kritischer Kopf, der sich seine Unabhängigkeit bewahrt, in grübelnder Unbeirrbarkeit seinen Weg geht, weder es sich, dem Weg noch den Betrachtern seiner Bilder leichtmachend," mit diesen Worten stellt Herbert Heckmann, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und Professor an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung, den Kulturpreisträger 1986 — Jürgen Wölbing — vor.

Der 44jährige Maler und Bildhauer, der sich vorwiegend graphischen Arbeiten widmet, wird von seinem Laudator als ein Mann geschildert, der sich nicht in die Trendpolonaise einreihe, mit der wir heute an der Kunst vorbeigeführt würden. Er habe eine fast kreatürliche Angst vor dem Klischee. Der Künstler, der die Beschäftigung mit der Natur besonders liebt, in dessen Arbeiten aber auch das Satirische, das Groteske einen bedeutenden Platz einnimmt, zeichnet sich, wie Heckmann sagt, dadurch aus, dass er sich Gedanken über das mache, was er zu Papier bringe, aber auch Gedanken über diese Gedanken.

Schönheit sei für Wölbing nicht ein Objekt, das abgerundet künstlerisch wieder abzurunden wäre, sondern gleichsam ein produktives Sehen. Wölbings Bilder deckten sich nicht mit dem, was er sich als wirklichen oder imaginierten, vorgestellten Gegenstand vornehme. Sie wichen ab, seien anders, um das Andere zu fassen, das man Schönheit, das man Möglichkeit oder Natur nennen könne. Dies sei nicht zu umschreiben, nicht zu beschreiben. So wie es in den Bildern gefasst sei, sei es allein fasslich. Jürgen Wölbing sei ein Realist, der das Widersprüchliche der Realität, der die Zerstörung wie das Zerstörtsein sehe und beides zu berichtigen suche, sich selbst aber auch berichtige. Auf dieses Sowohl-als-auch komme es an.

Ilse Werder schreibt zu diesem Themenkomplex in einem Zeitungsinterview 1987: "Die Widersprüche, die da zwangsläufig zwischen Anspruch und Wirklichkeit, äußerer und innerer Welt, Ruhendem und Spannungsvollem, Gegenständlichem und Abstraktem aufkommen, muss Wölbing umsetzen und da muss dann auch Sozialkritisches und Gesellschaftskritisches herauskommen, wie etwa Bilder von Wohlstandsalbträumen und den sinnlosen Drohgebärden der Kriegsmaschinerien."

Wölbing, 1942 in Breslau geboren und am Bodensee aufgewachsen, hat nach kurzem, für ihn frustrierendem Studium der Kunstwissenschaften und Kunstgeschichte in Frankfurt längere Zeit in einer Druckerei gearbeitet. Hier hat er sich solide Kenntnisse in der Typographie und der Buchgestaltung verschafft und danach bis 1972 seine eigene Druckerei betrieben. Nebenbei besucht er Zeichenkurse bei Walter Hergenhahn an der Abendschule des Frankfurter Städel.

Mitte der 1970er Jahre lebt er als freischaffender Künstler in Niederdorfelden. "Von den Jahren am Bodensee rührt meine Liebe zu Landschaft und Natur, ich habe immer gerne auf dem Dorf gelebt und nur hier kann ich in Ruhe über eine Sache nachdenken," bekennt er Ilse Werder.

Seine Arbeiten finden im In- und Ausland Resonanz: im Main-Kinzig-Kreis, in Frankfurt, in den Niederlanden, in Norwegen und Taiwan. 1981 gehört Wölbing neben A. Paul Weber, HAP Grieshaber, Karl Hubbuch und Michael Matthias Prechtl zu den 32 Künstlern, die das Auswärtige Amt für eine Ausstellung "Realistische Graphik aus der Bundesrepublik" in Havanna, Kuba, auswählt. Im selben Jahr wird er mit einem lithographischen Meisterwerk, der an barocke Monumentalgemälde erinnernden Graphik "life is very complicated", Senefelder Preisträger in Offenbach.

Wölbings Oeuvre umfasst neben Gemälden und Zeichnungen auch Buchillustrationen. Mehrere seiner mit Original-Graphiken ausgestatteten Bücher wurden von der Stiftung "Buchkunst" zu den schönsten 50 Büchern des Jahres gekürt, darunter die von ihm kreierte Ausgabe zu Edgar Allan Poes "Gordon Pym" für die Büchergilde Gutenberg.

Ein Höhepunkt in Wölbings Schaffen ist 1985 die Fertigstellung seines kleinen Wolkenbüchleins — Carl Gustav Carus "Fragmente eines malerischen Tagebuches".

Die Arbeit über den Naturphilosophen der Goethezeit, der mit seinen Landschaftsbeschreibungen die Maler der Romantik stark beeinflusst hat, bringt Wölbing als erstem modernem Künstler eine Einladung zu einer Ausstellung ins Frankfurt Goethe-Museum ein.

"Sie konnten keinen Würdigeren finden," resümiert Herbert Heckmann am Ende seiner Laudatio.

1990 gründet Wölbing mit Susanne Melchert das "Kunsthaus Hinter den Zäunen". Sie erwerben die 1910 im funktionalen Jugendstil erbaute alte Schule in Schöneck-Büdesheim und entwickeln ein Konzept, in dem Alltag und Kunst, Wohnen, Arbeiten und Ausstellen sowie das Vorstellen benachbarter Künste unter einem Dach möglich sind. Seit der Eröffnung 1991 finden hier bis Ende 1999 22 Ausstellungen statt, unter anderem mit Skulpturen von Kulturpreisträger Eckhard Schwandt und Bildern von Kulturpreisträger Olaf Hauke. Es gibt weitere 17 kulturelle Veranstaltungen mit fünf Lesungen, eine bestreitet die Kulturpreisträgerin Mechthild Curtius.

Außerhalb der eigenen vier Wände beteiligt sich das Kunsthaus-Künstlerpaar Wölbing-Melchert in diesem Zeitraum an 28 Kunstausstellungen und Kulturereignissen. 1995 erfindet Jürgen Wölbing den Buchomat und entwickelt Buchomat-Bücher. Auch ist er maßgeblich an der Weiterentwicklung des Offset-Druckes für künstlerische Zwecke beteiligt.

1999 hat er mit 68 Zeichnungen "Das Totenschiff" von B. Traven für die Büchergilde Gutenberg illustriert, 2001 wird er mit dem Hans-Meid-Preis ausgezeichnet. Seine Arbeiten findet man in vielen öffentlichen Sammlungen wie Klingspor Museum, Gutenberg Museum, Meermanno Museum in Den Haag, Oberhessisches Museum, Museum für Angewandte Kunst Frankfurt und Museum für Sepulkralkultur Kassel.