MIKROKOSMOS

2018 • Darstellende Kunst

MIKROKOSMOS

Maintal

www.hmv-edelweiss.de/mikrokosmos/



MIKROKOSMOS

Laudatio auf Kulturpreisträger MIKROKOSMOS

Die Welt ist eine Bühne. Dies gilt in besonderem Maße für ein ganz außergewöhnliches Ensemble von Laienschauspielern, für die das Votum der Jury zum diesjährigen Sonderkulturpreis einstimmig ausfiel: „Mikrokosmos“ Maintal, eine Kabarettgruppe, die vor dreizehn Jahren aus dem Hochstädter Humor- und Musikverein „Edelweiß“ heraus gegründet wurde. Damals führten die „Kosmonauten“ der ersten Stunde anlässlich des Hochstädter Altstadtfestes ein eigenes Programm auf – Open air und auf äußerst beengtem Raum, nämlich vor und hinter einem selbst gebauten überdimensionalen Fernsehbildschirm. Doch es zeigte sich schnell, dass dies nicht die optimale Bühne für eine Kabarettgruppe war – man brauchte einen Raum. 2006, nach einer konzeptuellen Neuorientierung, startete „Mikrokosmos“ dann mit zwei Veranstaltungen im Gemeindehaus Hochstadt neu durch unter dem Motto „Jetzt überdacht“. Es folgten viele weitere Auftritte und kabarettistische Aktivitäten, und spätestens mit den Programmen „Gedöns un Grafaame“ im Jahre 2008 und „Bis aaner weint“ 2009 gelang den „Kosmonauten“ dann ein raketenhafter Aufstieg in den Kabaretthimmel der Region, aus ursprünglich zwei wurden drei, dann vier, dann fünf Auftrittsabende. Seitdem wurden über 500 Sketche und Programmstücke geschrieben und mit großem Erfolg aufgeführt. „Mikrokosmos“ begeistert mit satirischen und auch nachdenklich machenden Inszenierungen schon lange nicht mehr nur die Bürger und Bürgerinnen aus Maintal. Zu den regelmäßig ausverkauften Vorstellungen kommen mittlerweile Besucher und Besucherinnen aus dem ganzen Landkreis und zum Teil auch aus weiter entfernt liegenden Städten und Gemeinden, von Frankfurt bis in den Aschaffenburger Raum hinein hat sich die Truppe ein festes Stammpublikum erobert. Denn trotz ihres engen Bezuges zur Region und zum heimatlichen Geschehen nehmen die Maintaler „Kosmonauten“ gern auch die große Politik und die Irrungen und Wirrungen des modernen digitalen Zeitalters aufs Korn. Ihr Name ist dabei Programm: gerade in der verkleinerten Erscheinungsform – im Maintaler Mikrokosmos, offenbaren die Dinge oft ihre Absurdität.

So auch in ihrer neuesten Produktion. „Wo gibt´s dann sowas“ wurde gerade erst an fünf Abenden im Gemeindehaus Hochstadt aufgeführt und sorgte jedes Mal für ein volles Haus mit begeisterten Besuchern. Scharfzüngig, satirisch und genau beobachtend – die zwölf Darsteller und Darstellerinnen im Alter von Anfang 20 bis über 70 Jahren bilden in ihren Stücken ein Panorama von Zeiterscheinungen ab, über das die meisten Menschen nur noch den Kopf schütteln können. Von den bürokratischen Auswüchsen der neuen Datenschutzgrundverordnung über die Telemedizin oder aktuelle Probleme wie Pflegenotstand und Plastikflut bis hin zu urkomischen Anekdoten über kommunalpolitische Eigenheiten in Maintal: „Mikrokosmos“ nimmt kein Blatt vor den Mund und bringt das Publikum dazu, auch über Dinge zu lachen, die im Alltag für viele nicht ganz so lustig daherkommen. In bester Satirikertradition kommen aber natürlich auch ganz private zwischenmenschliche Verbandelungen, der ewigwährende Geschlechterkampf und menschliche Schwächen auf die Bühne, doch immer mit unverkennbarem Bezug zur heimatlichen Region. Dies alles inszenieren die Kosmonauten mit herausragendem Wortwitz und geschliffenen Dialogen – meist im Dialekt – und überzeugen dabei mit ihrem authentischen Spiel und großer Professionalität.

Das Ganze wirkt natürlich und wie von leichter Hand inszeniert, doch tatsächlich steckt unendlich viel Arbeit in den Programmen von „Mikrokosmos“. Die heitere Leichtigkeit während ihrer Auftritte wird von den Mitgliedern des Ensembles hart erarbeitet, natürlich immer in der Freizeit. Unzählige Stunden verbringen die „Kosmonauten“ mit dem Schreiben der Texte, der Ausarbeitung der Ideen und der aufwändigen Probenarbeit. Dabei diskutiert man das Ganze basisdemokratisch und sucht stets nach dem besten Ausdruck für die wunderbar authentischen Charaktere. Themen zu finden, ist offenbar überhaupt kein Problem: „Wer mit offenen Augen durchs Leben geht, dem fliegen die Ideen nur so zu“, so beschrieb es einmal Gründungsmitglied Klaus Klee. Die Politik im Großen wie im Kleinen, Religion, Soziales und andere Absurditäten der Gesellschaft rufen ja oft geradezu danach, kabarettistisch abgebildet zu werden. Musik gibt es auch, die Darsteller singen und spielen mit Witz und Charme, einer gehörigen Portion Selbstironie und außerordentlichem Mut zur Selbstdarstellung.

Gerade für kleinere Gemeinden, die in der Regel über kein großes Budget im Kulturbereich verfügen, sind solche Leistungen privater Initiativen nicht nur wertvoll, sondern unverzichtbar. Denn die Kultur in der Region lebt vom Engagement dieser Menschen, die mit ihrer Leidenschaft für die Bühne mehr Lebensqualität in die Gemeinden bringen, den Zusammenhalt der Bürger und Bürgerinnen stärken, ihre regionale Identität dokumentieren und mit ihrem satirischen Blick auf das wechselvolle Spiel von Heimat und Fremde neue, erhellende Sichtweisen ermöglichen.

Ich möchte die Menschen, die bei „Mikrokosmos“ immer wieder für vergnügliche Stunden sorgen, kurz vorstellen: Frank Walzer, Leiter des Ensembles, ist ein Mann der ersten Stunde. Gemeinsam mit Klaus Klee, der heute eher im Hintergrund arbeitet und so für das reibungslose Gelingen der Auftritte sorgt, war er einer der Väter von „Mikrokosmos“ und steht auch heute noch mit viel Spaß auf der Bühne. Daneben gehören zum aktuellen Darstellerteam Isabella Isabella, Wolf Heiser, Dennis Götz, Stefan Lohr, Brigitte Rosanowitsch-Galinski, Colin Jeske, Anika Waider, Gisela Jeske, Simone Wilhelm, Pia Jost und Helmut Roog. Unterstützt werden diese aktiven „Kosmonauten“ von einem halben Dutzend weiterer Mitglieder. Und auch sie sind zu erwähnen, denn sie gehören zum festen „Kosmonauten-Stamm“, sind keinesfalls „passive Mitglieder“, sondern helfen kräftig mit: Klaus Klee, Nina Walzer-Stein, Johannes Rosbach, Colin Stein, Katja Welsch und Silvia Koffler. Denn gerade in den Bereichen Bühnenbild, Kostüm und Maske, Licht, Multimedia oder bei der Einrichtung des Veranstaltungsraums geht ohne diese vielen helfenden Hände und kreativen Köpfe vor und hinter der Bühne gar nichts.

Für ihre ehrenamtliche kulturelle Arbeit wurden die Mitglieder von „Mikrokosmos“ bereits 2016 mit dem Kulturpreis der Stadt Maintal ausgezeichnet. Auch der Main-Kinzig-Kreis fördert ganz besonders die Kulturvermittlung und möchte sich mit der Verleihung des diesjährigen Sonderpreises für den herausragenden Beitrag bedanken, den die Mitglieder von „Mikrokosmos“ zum gesellschaftlich-sozialen Leben im Landkreis leisten. Die regionale Kultur ist wichtig für den Zusammenhalt der Menschen. Denn Heimat, dieser in letzter Zeit leider etwas strapazierte Begriff, beinhaltet eben nicht nur das Bewahren von Tradition und Althergebrachtem. Heimatbezogenheit bedeutet auch, offen zu sein für Veränderungen, ohne dabei die eigene Identität aufzugeben. Mit ihrer genauen Beobachtungsgabe für die Herausforderungen der Zeit, denen sich die Menschen täglich stellen müssen, ihrem satirischen Blick auf Maintal und die Welt und einer großen Liebe zu ihren – teils auch ortsbekannten - Charakteren beweisen die „Kosmonauten“ seit ihrer Gründung auf beste kabarettistische Weise, dass Heimatverbundenheit und regionale Identität gerade in der Kultur zusammenfinden. Nicht rückwärtsgewandt, sondern offen für alles Neue und Moderne, wobei aber auch so manche Absurdität entlarvt und auf satirische Weise „verarbeitet“ wird. Humor ist eben, wenn man trotzdem lacht – manchmal auch über sich selbst. Dafür gebührt ihnen Dank und Anerkennung.

„Mikrokosmos“ wurde von meinem „Vor-Vorgänger“, Landrat a.D. Karl Eyerkaufer, für den Kultursonderpreis des Main-Kinzig-Kreises vorgeschlagen. Für ihn als echten Maintaler war es eine Herzensangelegenheit, dass diese engagierte Gruppe von Menschen für ihre ehrenamtliche Kulturarbeit ausgezeichnet wird. In seiner Begründung schrieb er: „Als langjähriger, begeisterter Zuschauer bezeichne ich die Gruppe als Verkörperung eines wachen, aufgeklärten, kritischen und noch dazu humoristischen Geistes.“ Gerade diesen wachen, kritischen Geist gilt es zu fördern, um den Herausforderungen unserer Zeit gewachsen zu bleiben. Denn erst in der satirischen Form der Übertreibung offenbaren viele Dinge ihren Kern, und das befreiende Lachen darüber ist vielleicht der erste Schritt zur Veränderung.

Ich freue mich also ganz besonders, dass das Votum der Jury in diesem Jahr auf „Mikrokosmos“ fiel. Machen Sie weiter so, bewahren Sie sich Ihren wachen Geist, Ihren satirischen Blick und Ihre Freude am Spiel auf den Brettern, die die Welt bedeuten! Ich bitte die Mitglieder der Kabarettgruppe nun nach vorn, um die Urkunden in Empfang zu nehmen.

 

Die Laudatio hielt Thorsten Stolz, Landrat (Mitglied der Kulturpreisjury),
13. November 2018, Main-Kinzig-Forum